Naramsin: Höhepunkte akkadischer Bildkunst

Naramsin: Höhepunkte akkadischer Bildkunst
Naramsin: Höhepunkte akkadischer Bildkunst
 
Naramsin, der vierte Herrscher der Dynastie von Akkad, ist vor allem durch eine Sandsteinstele bekannt, mit der er seinen Sieg über das Bergvolk der Lulubäer feierte. Mit ihrer ausdrucksstarken Darstellung bildet sie eine der Hauptattraktionen der Altorientalischen Abteilung des Louvre. Dorthin war sie zusammen mit den anderen Funden gelangt, die eine französische Grabungsexpedition zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Susa gemacht hatte. Die 2 m hohe Stele hatte dort, aus ihrem Sockel heraus auf ihre Bildseite gestoßen, in dem Teil des Palastgebiets gelegen, den der elamische Herrscher Schutruk-Nahhunte als Aufbewahrungsort für Trophäen und als »Museum« errichtet hatte. Schutruk-Nahhunte war einer der zahlreichen Herrscher in der elamischen Geschichte, die eine politische Schwäche Babyloniens ausnutzten, um einen Raubzug in das westliche, stets reichere Nachbarland zu unternehmen. Im Jahr 1160 v. Chr. zog er plündernd durch die Städte Babyloniens, offenbar auch Ausschau haltend nach älteren Kunstwerken. Dabei fiel ihm eine große Anzahl von Statuen und Stelen in die Hand, die er nach Hause brachte, zum Teil mit eigenen Inschriften versah und in seinem Palast aufstellte - der erste groß angelegte und systematische Kunstraub in der Geschichte.
 
Außer der berühmten Gesetzesstele des Hammurapi und einem Grenzstein (»Kudurru«) befanden sich in seiner Beute vor allem Erzeugnisse aus der Zeit der Dynastie von Akkad. Neben der Stele des Naramsin entdeckte man vor allem Fragmente zahlreicher Statuen, die Schutruk-Nahhunte sicher in vollständig erhaltenem Zustand »entführt« hatte, die aber unter der verheerenden Zerstörung seines Palastes durch Assurbanipal von Assyrien im Jahr 646 zu leiden hatten. Obwohl die Dynastie von Akkad bereits tausend Jahre zuvor untergegangen war, waren offenbar die Statuen und Stelen zur Zeit des Raubzugs Schutruk-Nahhuntes erstaunlicherweise noch offen sichtbar gewesen. Dies erlaubt uns einen ihrer zeitweiligen politischen Kurzlebigkeit wegen unerwarteten Einblick in das Traditionsbewusstsein der babylonischen Kultur, das sich offenbar besonders auf die Erinnerung an die Könige der Dynastie von Akkad und ihre Zeit konzentrierte.
 
Die entsprechend reiche Überlieferung ist allerdings merkwürdig gespalten und hat sich teilweise von den wirklichen Zusammenhängen entfernt. Uneingeschränkt positiv wird der Gründer dieser Dynastie, Sargon von Akkad, gesehen. Als dem Helden historisierender Dichtung wurden ihm Feldzüge und Eroberungen bis an die Mittelmeerküste und nach Anatolien zugesprochen. Sargons Enkel Naramsin wird dagegen in einem Teil der späteren Überlieferung als Unglücksherrscher dargestellt, vermutlich weil beginnend mit seiner Herrschaft die Gutäer, Bergvölker aus dem Osten, immer heftiger werdende Überfälle gegen Babylonien richteten. Durch seine erstmalige Beanspruchung göttlicher Privilegien - bildlich auf der Siegesstele zu sehen, auf der sein Helm mit Hörnern, dem Zeichen für Göttlichkeit, versehen ist - hatte Naramsin wohl auch die Priesterschaft gegen sich aufgebracht, die ihm daraufhin die Zerstörung des Zentralheiligtums in Nippur andichtete; der oberste Gott Enlil habe dann als Strafe die Gutäer ins Land gerufen. Von einer Zerstörung Nippurs kann jedoch keine Rede sein, da bekannt ist, dassNaramsin im Gegenteil an diesem Heiligtum Enlils gebaut hat. Diese Probleme schwächten offenbar den Zentralstaat so sehr, dass die von jeher aufrührerischen Stadtstaaten sich unter Naramsins Sohn Scharkalischarri gegen den Zentralstaat durchsetzen konnten.
 
Das Urteil der Babylonier, die Jahre unter der Dynastie von Akkad seien eine besondere Zeit gewesen, trifft sich mit unserer heutigen Einschätzung. Augenfälliges tritt uns besonders in der Entwicklung der Kunst entgegen. Denn nach stetigen, aber langsamen Veränderungen in den vorhergehenden Jahrhunderten vollzog sich zur akkadischen Zeit hin gewissermaßen ein Bruch. Besonders deutlich zeigen dies die zahlreich erhaltenen Rollsiegel. Ihre Figurenzusammenstellungen sind freier komponiert, die Figuren selbst sind durch Wiedergabe von Muskulatur naturalistischer gestaltet. Durch den einfachen Kunstgriff einer scharfen Abgrenzung der Konturen der Figuren wird der Eindruck hervorgerufen, die Figuren stünden vor einem Hintergrund. Diese Vorgehensweise hebt folglich nicht nur die Individualität der Figuren hervor, sondern bezieht erstmalig auch den Hintergrund in die Komposition ein. Gegenüber der thematischen Beschränkung der vorhergehenden Zeit auf den Tierkampf und einige wenige andere Themen entfaltet sich in der akkadischen Zeit zudem eine unglaubliche Themenvielfalt. Die Oberhand gewinnen aus Mythen entnommene Einzelszenen, in denen Götter eine Rolle spielen.
 
Als bestes Beispiel für die neuartige künstlerische Konzeption kann die bereits genannte Siegesstele des Naramsin gelten. Naramsin steht in Siegerpose an der Spitze seines Heeres, indem er seinen Fuß auf gefallene Feinde stellt - wahrscheinlich der Ursprung des Topos, mit dem der siegreiche Herrscher in Zukunft bis zum Relief des Dareios in Bisutun dargestellt wird. Der mit Keule sowie Pfeil und Bogen bewaffnete Herrscher trägt einen gehörnten Helm. Auch die übrigen Figuren sind - wie auf den Siegeln - gut proportioniert und detailfreudig wiedergegeben. Die Landschaft ist angedeutet, der Hintergrund in die Komposition einbezogen; die Szene wird von drei Sternen gekrönt. An frühere Darstellungen erinnert lediglich die überdimensionierte Gestalt des Herrschers, die größer dargestellt ist als die rangniedrigeren Menschen. Neben der fast zerstörten ursprünglichen Inschrift hat Schutruk-Nahhunte seine eigene auf dem rechts oben gezeigten Berg angebracht.
 
Wir kennen kein einziges anderes in dieser Weise durchkomponiertes Kunstwerk aus dem Alten Orient; allerdings sind uns auch nur wenige der ursprünglich vorhandenen Kunstwerke im Original überliefert. Allein für die Akkad-Zeit sind uns zwar zahlreiche Statuen und Stelen bezeugt, aber leider nur dadurch, dass Schreiber des 2. Jahrtausends die Inschriften kopierten und in erhaltenen Sammlungen festhielten. Vergleichbares findet sich somit am ehesten in zeitgenössischen Werken. Wegen seiner naturalistischen Gestaltung ist hier vor allem der Bronzekopf aus Ninive zu nennen, bei dem die Einzelheiten der Darstellung der Nase oder des Mundes dem Gesamtkonzept unterstellt sind. Hierin besteht ein völliger Gegensatz zu den Köpfen der Frühdynastisch-II-Zeit, im Grundkonzept aber auch zu den Köpfen der Frühdynastisch-III-Zeit, die sich einer naturalistischen Gestaltung wieder angenähert hatten.
 
Diese so rasche Veränderung im Grundkonzept der Kunst muss sicherlich im Zusammenhang mit der Änderung des politischen Konzepts vom Stadtstaat zum Zentralstaat hin gesehen werden. Eine ethnische Bindung dieser Kunst an die politisch inzwischen tonangebenden semitischen Akkader ist dagegen abzulehnen, da sich an der Zusammensetzung der Bevölkerung nichts geändert hatte; für den Bereich der Herrschenden zeigte sich die Kontinuität etwa darin, dass die Haartracht, die ja sonst häufig dazu diente, verschiedene Gruppen kenntlich zu machen, bei dem »akkadischen« Kopf aus Ninive und dem Goldhelm aus dem »sumerischen« Königsfriedhof von Ur identisch ist. Der Umschwung ist deshalb wohl am ehesten von bestimmten Grundgegensätzen in der babylonischen Gesellschaft her zu begreifen, die jeweils in den Spannungen zwischen lokaler und zentraler Macht gipfelten. Mit einem Machtwechsel gewann jeweils ein anderes Bündel von Konzepten die Oberhand. Sichtbar wurde dies auch nach der Aufsplitterung des akkadischen Zentralstaats in die früheren Stadtstaaten: In den Statuen des Gudea von Lagasch wurde ein Stil eingeführt, der zwar die naturalistische Wiedergabe körperlicher Einzelheiten wie der Muskulatur weiterführt, diese Einzelheiten aber wieder unproportioniert und nicht aufeinander bezogen nebeneinander stellt.
 
Prof. Dr. Hans J. Nissen

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”